"Coming Home - Theme from Local Hero" kam mir beim Weg zum grobschnittlichen Nordgig in den Sinn - denn schließlich hatte die Band schon immer einen heißen Draht zu Osterholz-Scharnbeck, wo sich Horst Delmen und Worp's Wede die Hand reichen. Es war die Heimat von Volker Kahrs, jenem Ausnahme-Keyboarder, dem wir große Teile solch bewegender Klassiker wie "Rockpommel's Land" und das Wikingerfinale von "Solar Music" verdanken. Er ist wohl ein unvergessener "local hero" dort, und die Gruppe hat zu seinen aktiven Zeiten öfters hier gespielt und geprobt. Letztes Jahr gab es nun ein trauriges Zusammentreffen aktueller und früherer Gruppenmitglieder bei Volkers Beerdigung. Allerdings traf man zu diesem Anlass auch Tom Redecker, als Labelinhaber und Musiker ("Electric Family", "Taras Bulba") ebenfalls ein langjähriger Weggefährte von Myst.
Waar der Anlass auch eher tragisch, öffnete er doch auch die Tür für vielfältige, zukunftsträchtige Zusammenarbeiten zwischen "Grobschnitt" und Redeckers "Sirena"-Label.
So veranstaltete Toms Firma das Konzert in der Stadthalle von OHZ, welches gleichzeitig die Release-Party für die Vinylausgabe des aktuellen Livealbums und der aktuellen Single "Another Journey" darstellte.
So eng liegen mal wieder Leid und Freud, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beieinander...
Entsprechend hoch flogen natürlich auch die Erwartungen der Fans, was dieses Konzert betraf: ein historischer Ort, ein historisches Datum und die erste "Next Party" nach dem emotional wie musikalisch ausßerordentlichen Gig in der Hagener Stadthalle vom Januar. Was lässt sich nun zu dem Event im hohen Norden sagen? Nun, für manche war es nur ein Konzert, für viele aber die längste Zugabe der Welt - hatte doch der Auftritt zu Beginn des Jahres der definitive Abschluss der Konzertreihe namens "Next Party" sein sollen und bis zur Komplettaufführung von "Rockpommel's Land" hatte die Gruppe eine schöpferische Pause angekündigt. Gottlob haben es sich die "Jungs" diesbezüglich doch noch anders überlegt und so wird die "Next Party" noch einige Male über deutsche Bühnen toben - wenn ich feststelle, wie sehr ich von Januar bis April auf "Grobschnitt"-Turkey war, bin ich über diese Entscheidung höchst erfreut.
Nun aber zu dem Konzert selbst - um es gleich im vorneherein zu sagen: es war wunderschön, wie gewohnt. Die Crux lag für manche Besucher einfach darin, dass so manche/r bereits sehr viele Gigs der Konzertreihe erlebt haben (... äh, wieviele waren es eigentlich mittlerweile?) und natürlich sind diese, Shows gerade bei dieser Band nicht unbedingt vergleichbar, selbst bei identischer Setlist.
Hohenlimburg, Betzdorf, Hagen - das waren eben Ausnahmekonzerte mit ganz eigener Magie, getragen von ganz spezieller Emotionalität und Ausstrahlung. Natürlich kann man das alles nicht miteinander vergleichen, schon gar nicht gegeneinander aufwiegen. Wo gab es mehr Gänsehaut, wo mehr Tränen, wo wurde mehr getanzt, wo lauter mitgesungen?
Nach meinem Eindruck ging das Publikum diesmal nicht von Anfang an so ab wie anderswo und auch die Band brauchte etwas länger, um sich warmzuspielen - aber was soll's? Hierbei muss man natürlich auch berücksichtigen, dass da eine dreimonatige Live-Pause und teilweise heftige Gesundheitsprobleme vereinzelter Musiker vorangingen. Wenn man dies berücksichtigt, war es wirklich wieder ein Wahnsinnskonzert und man kann mit Fug und Recht schreiben, dass "Grobschnitt" auch unter widrigsten Umständen oft noch viel mehr zu bieten hat als manch andere Proficombo in der Blüte ihrer Karriere.
Dreieinhalb Stunden Power und Poesie, Klamauk und Charisma - was will man mehr? Musik und Darbietung ergriffen mich von Anfang an und der guten Stimmung taten auch vereinzelte Fehlgriffe bei Soli keinen Abbruch - soll vorkommen, sowas und nobody is perfect.Analysten und professionelle Kritiker können sich ruhig auf solche nebensächlichen Kleinigkeiten stürzen - ich erinnere mich lieber an Highlights und magische Momente, und davon gab es in OHz wirklich auch eine Menge: wirklich grandios, von unglaublicher Dichte und Intensität, war diesmal "Komm und tanz!". Als Nukis Gitarre in das wuchtig-diffiziele Rhythmusgeflecht von Millas Bass und Demians Schlagzeug einbrach, waren Gänsehaut und Abtanzen eine Einheit. Überhaupt ist die Melodik dieses Stücks mit mollig-verspielten Gitarrenlinien zu ekstatisch-treibenden Trommelschauern das beste Paradebeispiel dafür, dass Tanz eine höchst spirituelle Angelegenheit sein kann - und es ist die beste Ouvertüre für das Magnum Opus jeden grobschnittigen Abends: "Solar Music". Wie dieses symphonische Stück multimedialer Rockkunst sich von Gig zu Gig weiterentwickelt, ist unglaublich. Jedesmal wieder entdeckt man Neues, zuvor Ungehörtes und völlig frische Nuancen: Das Trommelgewitter nach "Wir sind die Sonne" war diesmal extrem lang und bewegend im wahrsten sinne des Wortes: das Vibrieren des ganzen Körpers weckte Erinnerungen an das allererste Rockkonzert meines Lebens und die Power, die sich hier auf die Zuhörer übertrug, kommt einem reinigenden Seelen-Gewitter gleich. Gleichzeitig Staunen und Abgehen... ein unvergessliches Erlebnis und Beweis für das traumwandlerische Zusammenspiel zweier Meister des Trommelfachs - Vergleichbares habe ich zuvor nur in den Duetten von Bill Kreutzman und Mickey Hart von den "Grateful Dead" erlebt... und bei "Grobschnitt" sollte man noch dazu bedenken, wie jung einer dieser beiden hier agierenden Powerbolzen erst ist...
Sehr beeindruckend empfand ich diesmal auch Manus Akustik-Solo, das mehr und mehr neue Aspekte in das Superstück der Groben mit einbringt, eigene Ideen verspielt in gewohnte Strukturen einwebt, um dann in den berühmten "Sonnentanz" zu münden, der mittlerweile bei den Hardcorefans als "Sirtaki" berühmt-berüchtigt ist.
Die Keyboardparts waren an diesem Abend durchwegs entspannt und solide, um dann immer wieder virtuose Glanzleistungen zu zelebrieren - Tatti ist mittlerweile wirklich nicht mehr von "Grobschnitt" wegzudenken, und wie er mit Volkers Erbe, beispielsweise in "Rockpommel's Land" oder dem "Solar Music"-Finale umgeht, zeigt, wie sehr er schon zeitlebens mit dem Werk dieser Band vertraut ist. Seine neu bearbeitete Variante des elegischen Schlussteils des solaren Meisterwerks ist ein großes Stück Poesie ohne Worte.
Willi und Toni waren höchst gut bei Stimme - Milla hatte, wohl auf Grund zu kurzer Rekonvaleszenz, bei "Film im Kopf", leider einen stimmlichen Komplettausfall an einigen Stellen, aber das bescherte uns verstärkten Einsatz von der Wildschweinfront und das Kopfkino wurde so noch bunter - alles hat eben seine zwei Seiten. Basslich ließ Milla es allerdings gewohnt knackig krachen und seine Tiefton-Tornados sind einfach weit mehr als nur ein Teil der Rhythmusgruppe! Nukis Soli bescherten mir wieder mal feuchte Augen, vor allem in "Könige der Welt" Einige kleinere unmelodische Einzelheiten wollen wir mal als Ausflüge in den Freejazz betrachten... undselbst, wenn, wie ich oben geschrieben habe, das Publikum anfans eher etwas zurückhaltend wirkte, war bei dem rauschenden "Powerplay"-Finale alles am Kochen - that's Rock'nRoll, wie er im Buche steht!
Bemerkenswert transparent und ausgefeilt war diesmal der Sound - haben mich Bully Danielaks Künste an den Reglern eigentlich von Anfang an überzeugt, haben sie mich diesmal restlos begeistert. Feinheiten in den Arrangements und hübsche Soundeffekte fügten sich mit solcher Klangbrillanz in den Gesamtsound ein, dass man wirklich von einem Klanggemälde sprechen kann.
Wie man sieht,, waren es wieder eine Menge wunderbarer Eindrücke, die man mit nach Hause nehmen konnte - ganz speziell aber zwei handfeste Souvenirs: zum ersten Mal seit meinem ersten "Grobschnitt"-Konzert konnte ich mir beim Merchstand wieder eine LP kaufen... man ist es ja schon gar nicht mehr gewohnt, so eine Tüte im sperrigen Quadrat-Format mit aus der Halle zu tragen - Da fühlt man sich gleich über 25 Jahre jünger... und dann noch die aktuelle CD-Single "another Journey"... ein Traum wurde wahr - die erste Studioaufnahme mit einem neuen Song der Groben seit über 20 Jahren... ratet mal, was seit gestern ständig in meinen diversen Playern rotiert?!
Natürlich gäbe es über das gesamte Wochenende noch unglaublich viel zu berichten, denn ein Gig der Groben ist eben mehr als nur ein Konzert - Kollege Horst (nicht Herr Delmen) nannte es beim sonntäglichen Frühstück ein "Gesamtkunstwerk" aus Vorglühen, Konzert, After-Show-Party und vielen tollen Begegnungen... und ich hoffe inständig, dass diese aufregende Phase in unser aller Leben noch lange anhält!

Go for Love - Günni